Lebenslanges Lernen II: Was wir von der Forschung lernen sollten

Während Teil 1 dieser Serie eher ein Erfahrungsbericht war, schauen wir uns heute die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse an. Vielleicht ist die richtige Frage gar nicht, wie wir lebenslanges Lernen etablieren, sondern vielmehr:  Was hindert uns daran lebenslang zu lernen?  Warum sind wir nicht mehr so neugierig? Warum geht uns der Glaube an unsere Fähigkeit, neue Dinge zu erlernen, verloren?

Die Antwort ist relativ einfach. Neurowissenschaft und Psychologie kennen viele der Voraussetzungen, damit Menschen Interesse am Lernen haben und dabei auch erfolgreich sind. Dieses Wissen dürfen wir nicht ignorieren. Jede Führungskraft und jeder Personalentwickler sollte sich dieser Erkenntnisse bewusst sein, bevor er anfängt flächendeckend digitale Lernsysteme oder ähnliches zu etablieren.

 

 

  1. Das „Fixed Mindset“ Problem
  2. Der „Bedrohungs-Schaltplan“ unseres Gehirns
  3. Das chronische Stressproblem
Wenn unser Mindset uns am Lernen hindert…

Seit inzwischen über 20 Jahren forscht Carol Dweck, eine Stanford Psychologin, an der Wirkung unseres Mindsets auf unsere Lernfähigkeit. Erst in den letzten Jahren wird dieses so fundamental wichtige Wissen bekannter. Sie unterscheidet zwischen zwei Mindsets, dem „Fixed Mindset“ und dem „Growth Mindset“. Während ein „Growth Mindset“ dazu führt, dass wir uns neugierig Herausforderungen stellen führt ein „Fixed Mindset“ genau zum Gegenteil. Wir vermeiden Herausforderungen und haben eine geringe Frustrationstoleranz, wir geben leicht auf. Warum? In einem „Growth Mindset“ glauben wir daran, dass wir es selbst in der Hand haben, ein Problem zu lösen, nämlich durch entsprechende Anstrengung.

In einem „Fixed Mindset“ haben wir die Überzeugung, dass es weniger in unserer Hand liegt, ob wir etwas lernen können oder ein Problem lösen. Vielmehr machen wir Faktoren außerhalb unseres Einflussbereichs dafür verantwortlich, allen voran unsere Intelligenz. Irrwitziger Weise tritt das Problem besonders dann auf, wenn wir glauben, dass wir sehr intelligent sind. Wir wollen uns keine Blöße geben und verhindern das Scheitern. Mehr Details zu diesem Konzept finden Sie in meinem Artikel über den „Growth Mindset“. Die Angst vor dem Versagen hält uns davon ab, unser Bestes zu geben. Diese Erklärung geht Hand in Hand mit dem Konzept eines „Opfer“ vs. eines „proaktiven“ Mindsets. Glaube ich an meinen Einfluss oder sehe ich die Dinge als von außen gegeben an.

Der „Growth Mindset“ ist Mangelware

Auch wenn die ursprüngliche Forschung mit Kindern durchgeführt wurde, gilt das Konzept genauso für Erwachsene. Wer einmal die erschreckende Wirkung von falschem Feedback auf die Einstellung von Kindern erlebt hat, versteht, was das Problem ist. Nun geht es den Erwachsenen nicht anders, nur dass sie sehr viel mehr Zeit hatten, Frust anzusammeln. Sie alle kennen, die Formulierungen Ihrer Kollegen oder vielleicht auch von sich selbst, dass die Rahmenbedingungen Schuld sind, das Incentive-System, die Organisation, der Chef, das Management, etwas absolut nicht ihr Ding ist, wir dafür eine Schulung brauchen … Die Angst vorm Scheitern ist hier zwischen den Zeilen verborgen. Wir alle bauen uns im Laufe der Jahre unser Gerüst an Schutzmechanismen auf, die uns selbst aus der Verantwortung nehmen.

Ich habe in einem anderen Artikel (Das Superchicken-Problem) bereits einmal auf die Problematik der „Intelligenz“-Selektion aus anderer Perspektive hingewiesen. In dem Moment, wo wir im Arbeitskontext Feedback bezüglich Potential und Intelligenz geben, laufen wir Gefahr noch mehr Menschen in einen „Fixed Mindset“ zu drängen.

Auch wenn ich keine Studie zu Prozentsätzen kenne, würde ich basierend auf meinen Erfahrungen sagen, dass  der Anteil Mitarbeiter mit einem Fixed Mindset erstens mit dem Alter zunimmt und zweitens dieser Anteil weit über 50% liegt. Was denken sie? Schauen Sie sich in Ihrem Unternehmen um, wie sind die Mindsets verteilt?

Wenn wir lebenslanges Lernen erreichen wollen, müssen wir uns dieser internen Mindset-Blockaden bewusst werden. D.h., jeder Mitarbeiter muss den Zusammenhang verstehen, um sich selbst zu erkennen. Außerdem müssen wir lernen Feedback in einer Art und Weise zu vergeben, die einen „Growth Mindset“ unterstützt. Ohne diese Maßnahmen, sind alle Initiativen und Investitionen in Schulungen und digitale Lernangebote, die nicht gerade am Mindset arbeiten, nur zu einem Bruchteil wirksam.

Wenn unser Gehirn zusammenbricht…

Eine zweite Erkenntnis, die entscheidend ist für unsere Lernfähigkeit, kommt aus den Neurowissenschaften. Wir wissen inzwischen, dass es eine „Threat“ und eine „Reward“ Schaltung in unserem Gehirn gibt. Diese Schaltungen sind uralt, entstanden, lange bevor wir uns Anzüge und Krawatten angezogen haben. Ein uralter Schutzmechanismus unseres Gehirns gegen Säbelzahntiger und ähnliche lebensbedrohliche Gefahren. Er führt dazu, dass im Moment einer Bedrohung (Threat) die Verbindung zu unserem modernen Gehirn, dem präfontalen Cortex, gekappt wird, damit wir schneller, d.h. instinktiv, reagieren können: Typischerweise mit Flucht oder Kampf. Ein hochgradig effizientes System, das unsere Denkfähigkeit ausschaltet, um sich auf das wirklich Wichtige, das Überleben, zu konzentrieren.

Soweit so gut! Der Haken an der Sache: Unser Gehirn hat in den letzten Jahrtausenden noch nicht gelernt , zwischen Säbelzahntigern und anderen Formen der Bedrohung zu unterscheiden. Die Folge ist, psychische oder soziale Bedrohungen werden in genau der gleichen Weise gehandhabt. Also Stress, eine Meinungsverschiedenheit, Druck oder all die anderen schönen Zutaten unserer modernen Arbeitswelt, werden genauso als Bedrohung wahrgenommen. Prompt führen auch sie dazu, dass der präfontale Cortex im schlimmsten Fall abgeschaltet wird oder zumindest nur eingeschränkt arbeiten kann.

Solange wir Arbeitsumfelder mit hohem Stressniveau haben, werden sich viele Mitarbeiter in der Bedrohungsfalle befinden, was automatisch bedeutet, dass effektives Lernen nicht möglich ist.

Das Gegenstück ist das Belohnungssystem unseres Gehirns. Wenn dieses aktiviert ist, können wir unser Bestes geben, d.h. wir sind offen, neugierig, flexibel und kreativ. Beste Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen. Unser Belohnungssystem wird aktiviert, wenn wir uns sicher, unterstützt, wertgeschätzt  fühlen. Auch hier gilt, solange diese Voraussetzungen für Lernen nicht bei Ihren Mitarbeitern gegeben sind, sind alle Investitionen in Lernsysteme wertlos.

Wenn Stress chronisch ist…

Schauen wir uns Stress noch einmal im Detail an. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass Stress uns leicht in den Bedrohungszustand versetzt mit all seinen negativen Folgen fürs Lernen. Stress ist in vielen Fällen heutzutage, anders als der Säbelzahntiger, ein chronisches und nur vereinzelt ein akutes Problem. Unsere instinktiven Reaktionsmuster haben sich ursprünglich  für ein akutes Problem entwickelt. Was passiert nun, wenn wir kontinuierlich Stress ausgesetzt sind? Unser Körper ist in permanenter Habachtstellung. Der daraus entstehende neurologische Zustand, verringert nahezu sofort unseren Arbeitsspeicher und schädigt über verschiedene chemische Prozesse in unserem Körper das Langzeitgedächtnis und unsere Fähigkeit neue Informationen aufzunehmen. Unter diesen Umständen ist Lernen schwer möglich.

Eine der wichtigsten Maßnahmen, die Unternehmen zunächst ergreifen sollten, um lernfähige Mitarbeiter zu bekommen, ist das allgemeine Stresslevel im Unternehmen zu reduzieren und den Mitarbeitern zu helfen stressresistenter zu werden. Die wirksamsten Maßnahmen gegen die Wirkung von Stress sind relativ alt bekannt, werden aber fleißig ignoriert: Bewegung, gesunde Ernährung und reichlich Schlaf. Lesen Sie für weitere Details dazu auch meinen Artikel zum Body-Mind-Loop.

Fazit

Um erfolgreich lebenslanges Lernen zu etablieren, müssen wir zunächst den Mitarbeitern helfen einen „Growth Mindset“ zu entwickeln. Gleichzeitig müssen Rahmenbedingungen und Kultur geschaffen werden, die die Mitarbeiter möglichst häufig in einen Belohnungs- und möglichst selten in einen Bedrohungmodus versetzen. Als dritter Bereich muss der chronische Stress bei den Mitarbeitern in Angriff genommen werden: Durch Arbeitsweisen, die weniger stressig sind, und durch die Entwicklung größerer Stressresistenz. Dafür muss zunächst das Bewusstsein geschaffen werden, wie man die Stressresistenz erhöht und welche Bedeutung Bewegung, Ernährung und Schlaf dabei haben.

Erst wenn unsere Gehirne überhaupt lernfähig sind, sollten wir darüber nachdenken, welche Inhalte, wie in Zukunft vermittelt werden. Bisher sehe ich zu wenig Wissen in Unternehmen bezüglich der Basis von lebenslangem Lernen. Diese Themen müssen mit mehr Energie und Systematik angegangen werden, um nicht unendlich viele Ressourcen in „schwarzen Löchern“ der Weiterbildung zu versenken.

 

 

 

 

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