Ich: Jung, digital, gut ausgebildet, liebe enge Käfige – bin total agil

Agilität ist einer dieser Begriffe, der mich seit geraumer Zeit schwer irritiert. Spätestens nachdem ich vor kurzem bei einem Hamburger Barcamp mit dem Vortrag  „Wie man seinen Scrum Master los wird“ konfrontiert wurde, war mir klar, dass ich wohl nicht die einzige bin, die irritiert ist. Statt wissenschaftlicher Erkenntnis gibt es heute einmal einen persönlichen Perspektive.

Gespaltene Persönlichkeit

Es würde mich nicht wundern, wenn Agilität das meist genutzte Business-Wort der letzten Jahre wäre. Dabei leidet Agilität eindeutig unter einer Form der Schizophrenie, die einige Rätsel aufgibt. Schauen wir uns mal die verschiedenen Persönlichkeiten der Agilität an. Zunächst einmal ist da die ursprüngliche Bedeutung der Agilität. Ein Begriff, der  aus dem Lateinischen stammt: agilis „lenksam, behände, rasch“. Genau diese Bedeutung hat „agil“ heute eigentlich immer noch. Im Lexikon finden wir dann ebenfalls „flink, behände, beweglich“.

Die neue Identität

Soweit so gut, das habe ich verstanden. Unternehmen wollen genau das: Sich flink, behände, beweglich auf Kunden, neue Technologien, veränderte Märkte etc. einstellen und anpassen. Das wiederum erfordert Mitarbeiter, die entsprechen handeln. Aber was ist dann passiert? Mit einem Mal entwickelte sich diese zweite Persönlichkeit der Agilität. Mit leicht kommunistischem Vokabular, ist da plötzlich vom „Agilen Manifest“ die Rede. Und um den charmanten Begriff der Agilität entwickelt sich zackig ein Gefängnis von Prozessen, Strukturen und  Verhaltensweisen. Wird die liebe Agilität da nicht eher eingesperrt und geknebelt?  Alles natürlich mit bester Intention basierend auf gemeinsamen Werten…

Agilität im Käfig

Dabei muss ich fairer Weise sagen, dass ich gar keine Zweifel daran habe, dass diese Form des Arbeitens in bestimmten Situationen sehr erfolgreich sein kann (z.B. in seiner Heimat, der  Software-Entwicklung). Mein Problem ist nur die geradezu imperialistische Übernahme des Begriffs Agilität durch verschiedenste Prozess- und Methodengebilde, die nun vorgeben, die neue Agilität zu sein. Der Begriff Agilität ist mit einem Mal verdorben und niemand weiß mehr, wovon wir eigentlich sprechen. Reden wir von der eigentlichen Bedeutung des Begriffs oder lassen wir gerade Scrum-Master, Kanban, Sprints und Daily Stand-ups als Agilitäts-Imperialisten ins Haus? Hier wird Agilität doch eigentlich in einen klar definierten Käfig gesperrt, der nur eine vordefinierte Form der „Agilität“ zulässt. Es kommt mir ein bisschen vor wie Agilität im Zoo – wenn der sonst so dynamische Löwe, behäbig und mit wenig Muskulatur, sich ganz dynamisch auf das ihm zugeworfene Stück Fleisch stürzt.

Agilität ist mehr als die neue Identität ermöglicht

Agilität ist viel mehr als das „Agile Manifest“ und das daraus folgende Konzept des „agilen Arbeitens“ oder der „agilen Methoden“ mit all seinen Werten, Prinzipien, Methoden und Techniken bietet. Um so tragischer ist die Unterdrückung dieses ursprünglich so kreativen, flexiblen, offenen, neugierigen Begriffs durch eine methodengetriebene, prozessurale Definition. Agilität ist ein Mindset, eine Verhaltensweise und keine Organisationsform oder Methodenset. Agilität sollte eigentlich frei Natur sein und kein Zoo.

Wie schaffen wir es wieder, zu einer Diskussion über Agilität zurückzufinden, ohne automatisch in den Zwängen der neu geschaffenen Identität zu landen? Es gibt viele Arten agil zu sein. Was sie gemeinsam haben, ist die Haltung, eine Herangehens- und Verhaltensweise. Wir nehmen uns im Moment die Optionen und die Kreativität diese offen zu gestalten. Wir behandeln Agilität als ein Organisations- und Methodenthema, obwohl es viel mehr ein Mindset und Verhaltensthema ist. Als Folge sehen wir unendlich viele gescheiterte Agilitätsversuche in Unternehmen. Und als Krönung nun sogar Vorträge unter dem Titel „Wie ich meinen Scrum-Master los werde“.

Mich interessieren all die anderen agilen Arbeitsweisen, die da draußen existieren, von denen wir lernen können und die ihre Identität verloren haben, weil sie nicht in das enge Gerüst der agilen Methoden passen.

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